Die Great Eastern - Ihrer Zeit weit voraus
ie hatte die Zukunft der Passagierschifffahrt auf den Weltmeeren schon vorweg genommen, doch
zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung war die Zeit noch nicht reif gewesen für die
Great Eastern.
Ihr zugrunde lag der Traum, fahrplanmäßig die großen Distanzen zwischen Großbritannien und den fernöstlichen
Besitzungen des Empires rund um den australischen Kontinent zu verbinden, eine um ein vielfaches längere Route als
die Transatlantikverbindung.
Da Dampfschiffe natürlich Kohlen brauchten, um voranzukommen, mussten auf der Route immer eine ausreichende
Anzahl von Häfen liegen, in denen die Dampfer Kohle bunkern können. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war dies jedoch nur bei wenigen großen
Häfen der Fall, so dass dies zunächst einmal ein Handicap für die neuen Ozeandampfer war. Aus diesem
Grund sollte die
Great Eastern in der Lage sein, so viel Kohlen mitzuführen, dass sie auf der Reise nach Australien
nur einmal Kohlen in Kalkutta nachbunkern musste, und dies hieß, dass das Schiff ein um ein vielfach größeres Ladevolumen haben musste, als jeder
Dampfer, der je zuvor gebaut worden war. Das Ergebnis war ein Koloss von seinerzeit nie gekannten Ausmaßen. Als sie 1858 vom Stapel lief, maß sie mit
ihren 211 Metern Länge fünfmal mehr als jedes andere Schiff dieser Zeit, besaß 800 Kabinen und war für insgesamt 4000 Passagiere ausgelegt. Für die Mitte des
19. Jahrhunderts waren das unvorstellbare Dimensionen, und die Kühnheit der Konstruktion lässt sich auch daran messen, dass es beinahe 50 Jahre
dauern sollte, bis wieder Schiffe von dieser Größe gebaut wurden.
Indes, die
Great Eastern sollte keine ruhmreiche Zukunft als Passagierschiff vor sich haben. Spektakuläre Pannen und Unglücke verfolgten
das Schiff schon während des Baus. Bei ihrer Kiellegung lief der Rumpf auf Grund und lief voll, es kostete einen Monat und Unsummen, bis der Rumpf endlich schwamm, und
bis Decksaufbauten, Maschinen und die Einrichtung endlich eingebaut waren, standern ihre ursprünglichen Eigner am Rande des Ruins.
Auch im Einsatz rissen die Pannen nicht ab. Nachdem der Plan, die
Great Eastern auf einer Fernost-Route fahren zu lassen inzwischen zugunsten eines Einsatzes auf
der Transatlantik-Route fallen gelassen worden war, musste das Schiff schon nach den ersten Probefahren wieder für längere Zeit in den Hafen zurückkehren, weil
einer der Kessel explodiert und Teile des Schiffes schwer beschädigt hatte, wobei mehrere Heizer tödlich verunglückten. Selbst seinen ersten Kapitän verlor das Unglücksschiff: er ertrank bei einem Bootsunglück.
Entsprechend zurückhaltend reagierten Presse und potentielle Passagiere, als das Schiff am 17. Juni 1860 endlich zu seiner Jungernfahrt nach Amerika
auslief. Lediglich 36 zahlende Passagiere befanden sich an Bord, die sich auf dem riesigen Schiff völlig verloren. Darüberhinaus schlingerte das Schiff trotz seiner
gewaltigen Größe bei Seegang "wie ein schlaftrunkenes Wahlross". Es war rasch abzusehen, dass sich das Schiff zu einem finanziellen Desaster entwickeln würde.
Ihre große Stunde hatte die
Great Eastern denn auch nicht als Passagierdampfer, sondern als Lastschiff. Als der amerikanische Fabrikmagnat Cyrus Fields den verwegenen Entschluss fasste, Nordamerika und Großbritannien
mit einem transatlantischen unterseeischen Telegegrafenkabel zu verbinden, gab es weltweit kein Schiff, dass eine solche Menge Kabel hätte transportieren können, mit Ausnahme der inzwischen Bankrott gegangenen
Great Eastern. Fields kaufte daher
das Schiff 1864 und rüstete es für sein Vorhaben entsprechend um.
Zunächst schien es sich wieder zu bestätigen, dass das Schiff einfach unter einen Unglücksstern stand, denn gleich mehrfach versagten verschiedene Teile der Apparatur, die das Kabel in die See ausbrachte, darüber hinaus riss das Kabel mehrfach und sank in über 3000 Meter Tiefe hinab. Doch schlussendlich war dem Schiff dann doch noch ein großer Erfolg vergönnt, als es am 26. Juli 1866 in Neufundland anlegte und das Kabel an Land brachte.
Nach dieser Pioniertat verlegte die
Great Eastern immerhin noch fünf weitere Unterseekabel,
bis sie schließlich 1874 außer Dienst gestellt wurde.
Die letzten Jahre bis zu ihrer Verschrottung fristete sie ein recht unwürdiges Dasein als riesige
schwimmende Litfaßsäule im Hafen von Liverpool.
Das finanzielle Scheitern als Passagierschiff ließ bei nicht wenigen den Eindruck aufkommen, dass es wohl gewisse Grenzen bei der Größe von Ozeandampfern geben musste, und es nicht sinnvoll sein konnte, diese Größen zu überschreiten. Natürlich sollte die Zukunft zeigen, dass es durchaus möglich war, Schiffe von der Größe der
Great Eastern und von noch viel größeren Ausmaßen nicht nur technologisch zu realisieren, sondern auch rentabel zu betreiben. Rund vierzig Jahre später war es schließlich soweit, dass wieder ein Schiff die
Great Eastern an Größe übertraf, und die Ära der eleganten Luxushotels und majestätischen Linern auf den Weltmeeren sollte zu einer bisher nie erreichten Blüte aufsteigen. Die
Great Eastern hatte einen Blick auf diese Zukunft erst eröffnet. Allein, ihre Gegenwart war noch nicht reif für ein Schiff wie sie gewesen.
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