... es war schon vor Jahren hoffnungslos. ;-)
uszug aus einem Interview mit dem ehemaligen Web-Junkie Frank H. aus U. ...
"Erzählen Sie uns doch einmal, wie es eigentlich soweit kommen konnte, Herr H."
"Angefangen hat ja alles noch ganz harmlos... ich meine, wirklich, da hat sich echt keiner von uns was dabei gedacht... ich meine, so eine oder 'ne halbe Stunde HTML eben, völlig unverkrampft und ohne Zwang. Das hat uns eben Spaß gemacht, und wir sind jedesmal gut draufgekommen... ich meine, es hob' einfach so die allgemeine Stimmung. Verstehen Sie, man hat ja in der heutigen Zeit kaum noch was, wohin man vor diesen ganzen Hiobsbotschaften wie Umweltverschmutzung, Arbeitslosigkeit und Microsoft-Monopol fliehen kann... ja, und dann haben wir uns eben so ein, zwei HTML Dokumente pro Tag gedrückt..."
"Wann haben Sie gemerkt, daß Sie abhängig sind, Herr H.?"
"Ach Gott, das alles kam ja viel später. Und es ging doch zunächst recht langsam, glauben Sie mir. Es war eben irgendwann mal so, daß ich nicht mehr nur HTMLlte, um mich gut zu fühlen... irgendwann war es eben soweit, daß ich HTMLlen mußte, um mich nicht schlecht zu fühlen. Da begann wahrscheinlich zum ersten mal die richtige psychische Abhängigkeit einzusetzen... ich meine, ich dachte zu diesem Zeitpunkt halt immer, ich hätte das unter Kontrolle... aber..."
"Und wie ging es dann weiter?"
"Ich muß zugeben, irgendwann, nachdem man einen gewissen Punkt dann überschritten hat, geht es dann eben doch ziemlich schnell. Wenn man erstmal so richtig auf HTML ist, dann ist das ganze nur noch eine Frage der Zeit, bis man auch noch zu den richtig harten Dingen wie JS, CSS oder gar CGI übergeht. Und da begann natürlich dann der Abstieg, ganz klar. Irgendwann war mir dann so ziemlich alles egal, ich dachte nur noch an das eine: an die nächste HTML Session. Meine Freunde bekamen davon kaum etwas mit, ich vermochte meine Abhängigkeit lange Zeit gut zu verbergen. Erst, als meine Leistungen im Studium deutlich einbrachen, wurden einige darauf aufmerksam, daß etwas mit mir nicht in Ordnung sein könnte.
"Wie weit war die Abhängigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits vorangeschritten?"
"Ich denke, ich war zu dieser Zeit schon fast im Endstudium der HTML-Sucht. Ich lebte nur noch von Quelltext zu Quelltext. Meine Strom- und auf die Telefonrechung hatten bereits überirdische Ausmaße angenommen... mein Rechner lief Tag und Nacht und ich kannte nur noch das eine: HTML. Das war inzwischen die ganze Welt für mich. Es war grauenvoll. Alleine wäre ich da niemals rausgekommen..."
"Wie haben Sie es dann schlußendlich doch geschafft?"
"Wie gesagt, wir waren mehrere, als wir das erste mal zu HTMLlen anfingen. Doch ich und ein gewisser F.L. aus W. waren die einzigen, die wirklich davon richtig abhängig wurden und schließlich aus dem Teufelskreis der Sucht nicht mehr rauskamen. F. wurde dann dabei erwischt, wie er versuchte, das neue HTML Kompendium aus einem Computerfachgeschäft zu stehlen, um neues Dope zu bekommen. Er wurde verhaftet und gab schließlich den Namen seines Dealers, mich eben, heraus. Damit war's dann vorbei. Die Polizei stürmte meine Bude und konfiszierte sämtlichen Webmittel... ich kam zunächst in U-Haft und wurde dann in eine Therapiegruppe von Webmastern, die alle wie auch ich gerade auf kaltem Entzug waren, eingegliedert."
"Wie war diese Entziehungskur?"
"Es war die reine Hölle. Ich erinnere mich auch jetzt nur mit Schrecken daran. Ich weiß noch genau all die endlosen Stunden, wo ich halb wahnsinnig in meiner Zelle auf und abgerannt bin und nach den Wärtern gebrüllt habe, daß sie mir ein HTML-Tag bringen sollten... Gott, ich hätte damals meinen rechten Arm gegeben für ein einziges <BODY> Tag mit ein paar Formatierungsattributen drin..."
"Und nun?"
"Sechs Monate dauerte der Entzug. Kein Computer, kein Videospiel, nicht mal Fernsehen. Doch es hat sich ausgezahlt. Ich bin clean. Meine Domain habe ich verpachtet, alle anfallenden Arbeiten lasse ich von ein paar Erstesemster Studenten erledigen. Ich weiß jedenfalls: dieses Teufelszeug werde ich nie wieder anrühren."
"Was empfinden sie beim Wort HTML, Herr H.?"
"Nicht mehr viel. Eigentlich nichts mehr, außer, daß es mich an das bislang dunkelste Kapitel meines Lebens erinnert."
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