Die Britannic - das kurze Leben der jüngeren Titanic-Schwester
igentlich sollte es dasjenige Schiff sein, mit dem die White Star Line ihre Liner-Troika der Olympic-Klasse vervollständigen und damit sowohl die inländische Konkurrenz von Cunard als auch die deutsche HAPAG in Sachen Vorherrschaft auf dem Transatlantikmarkt zu beeindrucken gedachte.
Doch noch während die Planungen zur Konstruktion an dem Liner liefen, der später den Namen
Gigantic tragen und entsprechend seines Namens seine Vorgänger an Pracht und Größe natürlich wiederum weit übertreffen sollte, ereilte dessen jüngeres Schwesterschiff
Titanic bereits auf ihrer Jungfernfahrt ihr Schicksal in Form eines Eisberges - und die Planungen von White Star für einen Liniendienst mit drei großen Ozeandampfern hatten sich jäh zerschlagen.
Auf die Konstruktion des neuesten Juwels der White Star hatte die Titanic-Katastrophe ebenfalls direkte Auswirkungen. Einmal davon abgesehen, dass die Reederei sich nun von dem geplanten Namen
Gigantic verabschiedete und lieber den weniger herausfordernden Namen
Britannic für das neue Schiff wählte, sollten dem Liner auch all jene Erkenntnisse und Lehren zugute kommen, die man mittlerweile aus dem Untergang der
Titanic gezogen hatte. Nicht nur, dass das Schiff diesmal mit einer ausreichenden Menge von
Rettungsbooten bestückt werden sollte - auch die Kräne zum Abfieren der Boote wurden gänzlich neu entworfen und verbessert - in ihrer Endversion waren sie um ein vielfaches größer als die alten Welin-Davids, die bei der
Titanic
ausschließlich zum Einsatz gekommen waren, konnten jeweils bis zu sechs Rettungsboote
abfieren und waren groß genug, um sogar über die Aufbauten hinweg Boote von der anderen Seite des Schiffs zu holen, falls dort das Abfieren nicht möglich wäre. Weiterhin wurde das Prinzip der wasserdichten Abteilungen verbessert, sie endeten im Vergleich zur
Titanic um einige Decks höher, so dass der Fall, dass Wasser einfach über die Schotts hinweg von einer Abteilung in die andere laufen konnte nicht so leicht eintreten konnte. Selbst mit sechs gefluteten Abteilungen sollte die
Britannic noch schwimmfähig bleiben, so die Planungen der Konstrukteure - bei der
Titanic hatten fünf geflutete Abteilungen bereits ihren Untergang bedeutet.
Solchermaßen gut vorbereitet auf alle maritimen Widrigkeiten wollte White Star
die
Britannic 1914 in das Rennen um die Transatlantik-Passagiere schicken.
Im Februar des Jahres lief das Schiff vom Stapel, danach begannen die Arbeiten an Aufbauten und Interieur des Schiffes. Jedoch kam es nicht mehr dazu, dass die
Britannic ihre ihr ursprünglich zugedachte Aufgabe erfüllen konnte: durch den Ausbruch des ersten Weltkrieges im Sommer 1914 wartete nun auch auf das noch im Bau befindliche neue Flaggschiff der White Star eine kriegswichtige Aufgabe. Während ihr älteres Schwesterschiff, die
Olympic, wie so viele andere Passagierdampfer nun ihren Dienst als Truppentransporter für die Royal Army verrichten mussten, hatte die Admiralität für die
Britannic eine andere Aufgabe vorgesehen: sie sollte der britischen Armee als Lazarettschiff dienen, und mit modernster klinischer Ausrüstung bestückt nun verwundete Soldaten von den Schlachtfeldern Europas in die Heimat zurücktransportieren.
Entsprechend wurde die bereits vorhandene Inneneinrichtung des Schiffes wieder entfernt und ausgelagert, und der Liner selbst für den Einsatz als Lazarettschiff vorbereitet: aus dem Erster Klasse-Speisesaal wurde eine Intensivstation, aus dem großen Empfangsraum des Schiffes ein Operationssaal, die Gesellschaftsräume der oberen Decks sollten nun als Lagerstätten für die Verwundeten dienen. Das Schiff erhielt einen neuen Anstrich, statt des charakteristischen weiß-schwarzen Rumpfkleides wurde die
Britannic nun gänzlich weiß, unterbrochen nur von einem dicken grünen Querstreifen und deutlich sichtbaren roten Kreuzen, die in der Nacht beleuchtet waren - eine eindeutige Kennzeichnung des Dampfers als ein Lazarettschiff, der damit von der Genfer Konvention geschützt war und eigentlich nicht von feindlichen Schiffen angegriffen werden durfte.
Das Einsatzgebiet der
Britannic wurde der Mittelmeerraum, von wo sie dann ab 1916 verwundete Soldaten des Empires, die auf dem Balkan, in Palästina und in Arabien
gegen Deutsche und Osmanen gekämpft hatten, wieder nach Großbritannien bringen sollte. Schon lange hatte sich der zu Beginn gut zwei Jahre zuvor von den europäischen Großmächten fast schon begeistert herbeigesehnte "Große Krieg" zu einem grausamen und unerbittlichen Stellungskampf verwandelt, der hohe und immer höhere Opfer forderte und dessen Ende dennoch nirgends in Sicht war. Es gab somit viel Arbeit für das neue Lazarettschiff ihrer Majestät Britannic, und auf ihren ersten Dienstfahrten wurde ihre Gesamtkapazität von rund 3300 Verwundeten zumeist voll benötigt.
Am 12. November des Jahres 1916 lief das Schiff unter dem Kommando von Kapitän Charles Bartlett bereits zum sechsten Mal von Southampton mit Kurs auf das Mittelmeer aus, um aus einem britischen Lazarettlager auf der griechischen Insel Lemnos Verwundete in die Heimat zu evakuieren. Nach einem zwei Tage währenden Zwischenstopp in Neapel, wo die
Britannic Kohle bunkerte und abschließend das Nachlassen eines schweren Wintersturms abwartete, setzte sie ihre Reise in Richtung östliches Mittelmeer am 19. November fort.
Ihr Ziel, das Lager Mudros auf Lemnos sollte die
Britannic indes nie erreichen. Am Morgen des 21. November wurde die Besatzung durch einen lauten Knall und eine deutlich spürbare Erschütterung des Vorschiffs jäh aus ihrem üblichen Tagewerk gerissen. Rauch stieg an der Steuerbordseite des Bugs auf und Wasser strömte heftig in die vorderen Laderäume. Da die Besatzung keine Verwirbelungsspur ausmachen konnte, die auf den Einschlag eines Torpedos hätte schließen lassen, lag es nahe, dass das Schiff auf eine Mine gelaufen war. In der Tat befanden sich einige deutsche U-Boote im Mittelmeer im Einsatz, und zumindest ein Boot, die U-73 unter Kapitänleutnant Gustav Siess, hatte nicht lange zuvor in der griechischen Ägäis operiert und dabei auch Minen gelegt.
Kapitän Bartlett regierte ruhig und bestimmt, ließ die Schotten schließen und einen Notruf absetzen, wobei er davon ausging, dass das Schiff schwimmfähig bleiben würde. Jedoch hatte die Explosion das Schott zwischen dem zweiten und dritten Laderaum zerstört und zudem zwei weitere Schotts und die wasserdichte Tür im Heizerkorridor so stark beschädigt, dass Wasser auch in die hinter und vor dem eigentlichen Leck befindlichen Abteilungen eindringen konnte und damit bereits fünf Abteilungen des Schiffes sich mit Wasser zu füllen begannen. Unglücklicherweise wollte auch die Schotttür zwischen Kesselraum 5 und Kesselraum 6 nicht richtig schließen, und das, obwohl sie eigentlich weit genug von der Explosionsstelle gelegen war - damit füllten sich sechs wasserdichte Abteilungen der
Britannic mit Wasser - nach den Konstruktionsplänen das Maximum, mit dem sie hätte schwimmfähig bleiben müssen.
In der Tat hielt dann auch das Schott zwischen Kesselraum 4 und Kesselraum 5, jedoch drückte das eindringende Wasser den Bug tief ins Wasser, und nun rächte es sich, dass entgegen der Sicherheitsbestimmungen viele Bullaugen geöffnet waren - dies vermehrte den Wassereinbruch noch und verstärkte die Schlagseite der Britannic nach Steuerbord.
Zusätzlich wurde der Wassereinbruch durch ein Manöver von Bartlett verstärkt. Angesichts des Umstandes, dass sich das Schiff in diesem Augenblick nur wenige Kilometer von der griechischen Insel Kea entfernt und damit in unmittelbarer Sichtweite von Land befand hoffte Bartlett, das Schiff vielleicht noch nahe genug an die Insel heran- und dann auf Grund setzen zu können und ließ daher mit Volldampf Kurs auf die Insel setzen, wodurch nur noch mehr Wasser in das Leck am Bug gedrückt wurde. Jedoch musste er bald die Aussichtslosigkeit seines Vorhabens erkennen, ließ die Maschinen wieder stoppen und die Boote klarmachen. In der Tat schien es so, dass sich die
Britannic doch nicht wie geplant mit sechs gefluteten Abteilungen über Wasser halten konnte, sei es wegen des zusätzlichen Wassereinbruchs durch die geöffneten Bullaugen, durch die immer stärker werdende Schlagseite oder - wie oftmals später vermutet wurde - durch die Explosion heimlich transportierter Munition; etwas, was vor allem die Deutschen immer wieder geargwöhnt hatten. Genau geklärt werden konnte diese Frage später jedoch nicht. Immerhin zahlte es sich für die Besatzung nun aus, dass die
Britannic mehr als ausreichend Platz in ihren Rettungsbooten für die Schiffbrüchigen bot: in den rund 50 Minuten, in denen sich die
Britannic nach der Explosion noch an der Wasseroberfläche hielt, gelang es, nahezu alle der rund 1000 Mitglieder zählenden Besatzung zu evakuieren, so dass am Ende nur wenige Dutzend Opfer zu beklagen waren. Auch Hilfe war rasch herangeeilt; nur kurze Zeit nach dem Untergang der
Britannic konnte ihre Besatzung bereits von herangeeilten britischen Kriegsschiffen und einem griechischen Fischkutter, der aus dem nahen Inselhafen St. Nikolo zu Hilfe gekommen war, aufgenommen werden.
Als Lazarettschiff hatte die
Britannic in ihrem kurzen Leben dem Vaterland gute Dienste geleistet. Und auch wenn es bedauerlich ist, dass sie niemals ihre Fähigkeiten in der ihr eigentlich zugedachten Bestimmung das Atlantikliner unter Beweis stellen konnte - andere Schiffe sollten nach dem Krieg an die Stelle treten, die für die
Britannic vorgesehen war - und ganz neue Geschichten schreiben.
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